Gesellige Abende bei guten Freunden – die Familie Jacquin

„Ich muß ihnen aufrichtig gestehen, daß obwohl ich hier alle mögliche höflichkeiten und Ehren genüsse, und Prag in der That ein sehr schöner und angenehmer ort ist, ich mich doch recht sehr wieder nach Wienn sehne; und glauben sie mir, der hauptgegenstand davon ist gewis ihr Haus.“1

Dies schrieb Mozart am 15. Januar 1787 seinem „liebste[n] Freund“2 Gottfried von Jacquin, zu dem er eine sehr innige und herzliche Freundschaft pflegte. Doch Mozart dürfte sich über diese Beziehung hinaus im gesamten Hause Jacquin sehr wohl gefühlt haben. Schließlich konnte er die gesamte Familie Jacquin, die er seit spätestens 1783 gekannt haben musste, zu seinem Freundeskreis zählen...

 

Mozart im Kreis der Familie Jacquin

Plan des Botanischen Gartens im Jahre 1770. Joseph Franz Jacquin: Der Universitäts-Garten in Wien. Wien 1825.

Plan des Botanischen Gartens im Jahre 1770. Joseph Franz Jacquin: Der Universitäts-Garten in Wien. Wien 1825.

Das Familienoberhaupt Nikolaus Freiherr von Jacquin (1727-1817) war Professor für Botanik und Chemie an der Wiener Universität. Seine bedeutendste Leistung war der wissenschaftlich orientierte Aufbau des Botanischen Gartens am Rennweg, unmittelbar neben dem Garten von Schloss Belvedere.3 (Noch heute ist dort das Botanische Institut der Universität Wien ansässig.) Ehe ihn 1796 sein älterer Sohn Joseph Franz ablöste, der als naturwissenschaftliches Wunderkind galt, war er Direktor des neu geschaffenen Botanischen Gartens. In  Joseph Franz´ Stammbuch schrieb Mozart den vierstimmigen Doppelkanon KV 228 und fügte hinzu: „Don’t never forget your true and faithfull friend“.4
Überhaupt schien Mozart von der Familie Jacquin, die standesgemäß im Direktorhaus wohnte, begeistert zu sein. So lautet es in einem Brief an Gottfried von Jacquin:

„Ich bitte ihren würdigen Eltern meinen Respekt zu melden, und ihren H[errn] brudern [...] für mich 1000mal zu embrasieren. – ihrer frl: Schwester [...] küsse ich 100000mal die hände, mit der bitte, auf ihrem Neuen Pianoforte recht fleissig zu seyn – doch diese Ermahnung ist unnütz – denn ich mus bekennen daß ich noch nie eine Schüllerin gehabt, welche so fleissig, und so viel Eifer gezeigt hätte, wie eben sie“.5

Mit diesem „Fräulein Schwester“ war Franziska von Jacquin gemeint, die eine begabte Pianistin und eben Klavierschülerin Mozarts war. Für sie schrieb er unter anderem den Klavierpart im sogenannten Kegelstatt-Trio (KV 498)6 und die C-Dur-Sonate zu vier Händen (KV 521)7.
Die wohl engste Beziehung aber war zu dem jüngeren Sohn Gottfried entstanden. Er war es auch, dem Mozart seine Gefühle offenbarte. Über den Tod seines Vaters Leopold Ende Mai 1787 unterrichtete Mozart ihn auf folgende Art und Weise: „Ich benachrichtige sie daß ich heute als ich nach haus kamm die traurige Nachricht von dem Tode meines besten Vaters bekam. – Sie können sich meine Lage vorstellen!“8 Gottfried von Jacquin war durchaus musikalisch begabt und ein mehr als ordentlicher Sänger in der Basslage. Gottfried versuchte sich auch im Komponieren. Er schrieb vornehmlich Liebeslieder, mithilfe derer er bei den Frauen, für die er gerade am meisten schwärmte, Eindruck hinterlassen wollte. Mozart fungierte dabei oft als „Ghostwriter“. So stammen unter anderem die Notturni KV 436-439a, die Bassarie „Mentre ti lascio, o figlia“ (KV 513) sowie die Liebeslieder “Das Lied der Trennung“ (KV 519), „Luise“ (KV 520) und das „Traumbild“ (KV 530) nachweislich aus Mozarts Feder.9 Mozart muss in diesem Fall das Überlassen der Autorschaft wohl als Art Freundschaftsdienst erachtet haben. Gottfried schreibt er am 9. November 1787:

„wenn es erst noth hat Sie durch das lied en question meiner freundschaft zu versichern, so haben sie weiter keine Ursache daran zu zweifeln; - hier ist es: - Ich hoffe aber daß sie auch ohne diesem liede meiner wahren freundschaft überzeugt sind, und in dieser Hoffnung verharre ich Ewig [...] ihr aufrichtigster freund [...]“10

 

Häusliches Musizieren

Fernab von den öffentlichen Akademien der hektischen Wiener Innenstadt und den bürgerlichen Salons mit geladenem Publikum fanden in der intimen, freundschaftlichen Atmosphäre des Hauses Jacquin allwöchentlich musikalische Zusammenkünfte statt. Dabei ging es natürlich nicht ausschließlich um das gemeinschaftliche vokale und instrumentale Musizieren, aber doch scheinen die ausgiebigen, geselligen Abende Mozart derart inspiriert zu haben, dass er sie immer wieder als Anlass für neue Kompositionen nahm – kein Wunder, bedenkt man, dass doch auch zumindest Gottfried und Franziska mit musikalischem Talent aufwarten konnten.11

Front des Direktorwohnhauses. Photo: R. Lechner. 1903. Botanisches Institut der Universität Wien.

Front des Direktorwohnhauses. Photo: R. Lechner. 1903. Botanisches Institut der Universität Wien.

Exemplarisch für diese von der ungezwungenen Atmosphäre der Jacquin-Abende inspirierten Werke steht das Bandel-Terzett (KV 441). In diesem sind die drei Stimmen der sich um ein Bändchen zankenden Sänger explizit für Constanze Mozart (Sopran), Mozart selbst (Tenor) und Gottfried von Jacquin (Bass) vorgesehen. Die komische Szene war möglicherweise einer tatsächlich im Direktorhaus vorgefallenen nachempfunden.12
Neben solchen Stücken wurden aber auch neue Kammermusikwerke Mozarts bei den Jacquins aufgeführt. Mozart trug diese nämlich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in öffentlichen Konzerten vor, jedoch bei den Jacquins - so z.B. im Sommer 1786 die Violinsonate KV 481, das Klaviertrio KV 496 und das Klavierquartett KV 478.13

 

  1. Wolfgang Amadeus Mozart: Briefe und Aufzeichnungen. Kassel u.a. 1963, Band 4, S. 10f. []
  2. Ebd., S. 9. []
  3. Vgl. Michael Kiehn: Der Botanische Garten der Universität Wien. In: Die Botanik am Rennweg. Hrsg. von Wilfried Morawetz. Wien 1992, S. 96. []
  4. Otto Erich Deutsch: Mozart. Dokumente seines Lebens. München 1981, S. 147. []
  5. Mozart-Briefe, S. 11. []
  6. Vgl. Joachim Steinheuer: Musik für bürgerliche Salons und private Geselligkeit: Lieder, mehrstimmige Gesänge und Kanons. In: Mozart-Handbuch. Hrsg. von Silke Leopold. Kassel 2005, S. 637. []
  7. Vgl. Marie-Agnes Dittrich: Sonate C-Dur für Klavier zu vier Händen KV 521. In: Leopold, S. 539. []
  8. Volkmar Braunbehrens: Mozart in Wien. München 2006, S. 312. []
  9. Vgl. Gernot Gruber (Hrsg.): Das Mozart-Handbuch. Band 6. 2005, S. 286. []
  10. Mozart-Briefe, S. 59. []
  11. Vgl. Nicole Schwindt: Flötenquartett A-Dur KV 298. In: Leopold, S. 472. []
  12. Vgl. Steinheuer, S. 638. []
  13. Vgl. Schwindt: Neue (und alte) Formate der Klavierkammermusik. In: Leopold, S. 450. []