Die Mehlgrube: Konzerte im Casino

Das "Haus zur Mehlgrube" gehörte zu Mozarts Zeiten in Wien zu den bedeutenden Casinos, Tanzsälen und Vergnügungsstätten. Das Gebäude wurde auf Betreiben der Stadtgemeinde Wien 1697 oder 1698 nach Plänen von Johann Bernhard Fischer von Erlach an der Stelle der sogenannten "Alten Mehlgrube" erbaut und bestand bis 1897.1 Im ersten Stock befand sich ein großer Ballsaal, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend auch als Konzertsaal benutzt wurde. Besonders bedeutsam sind hierbei die 1780er Jahre, in denen der Unternehmer Philipp Jakob Martin eine Reihe von wöchentlichen "Dilettantenkonzerten" in der Mehlgrube organisierte und auch Mozart eigene Akademien durchführte.2

Im Gegensatz zu anderen europäischen Metropolen verfügte Wien für lange Zeit über keinen dezidierten Konzertsaal im Sinne eines eigens für diesen Zweck errichteten Gebäudes. Konzerte, die nicht in höfischen oder privaten Räumlichkeiten stattfanden, mussten daher in verschiedensten "zweckentfremdeten" Spielstätten durchgeführt werden. Ein Ort für solche sogenannten Akademien war auch die Mehlgrube.3
Der neue, große Bedarf an öffentlichen Konzerträumen spiegelte die gesellschaftliche Veränderung jener Zeit wieder. Das bisherige Monopol von Aristokratie und Hof als beherrschende Kraft in der säkularen Musik wurde durch das aufstrebende Bürgertum mehr und mehr angegriffen, adliges Patronat langsam durch bürgerliches Mäzenatentum verdrängt. Die Kunstmusik gewann dadurch zum ersten Mal breitflächig eine Art von Öffentlichkeit: neben der Aufführung im elitären Kreis am Hof oder in den privaten Palais der Adligen entstand das öffentliche Konzert. Hierfür mussten aber auch entsprechende Räumlichkeiten erschlossen werden – zwar wurde unter anderem das Burgtheater in Wien an spielfreien Tagen für andere Veranstaltungen vermietet, der steigende Bedarf konnte dadurch aber bei weitem nicht gedeckt werden, so dass auch auf die Mehlgrube zurückgegriffen wurde.4 Eduard Hanslick beschreibt die Räumlichkeiten allerdings als nicht unbedingt perfekt für diesen Zweck, auch sei der Mehlgrube ihre Hauptbestimmung als Vergnügungsstätte immer anzumerken gewesen.5 Mit einer Kapazität von maximal ca. 400 Zuschauern konnte der Saal darüber hinaus kaum mit den großen Spielstätten Wiens konkurrieren und war nur für "kleine Akademien" geeignet.6

Im Jahre 1783 schrieb Mozart für seine Schwägerin Aloysia Lange das Rezitativ und Rondo Mia speranza adorata Ah, non sai, qual pena sia, das in der Mehlgrube uraufgeführt wurde. Die folgenden zwei Jahre stellen dann den Höhepunkt der von Mozart organisierten Akademien dar. Im Fasching 1785 fanden jeweils freitags sechs Abonnementkonzerte in der Mehlgrube statt, für die unter anderem das dort erstmals gespielte Klavierkonzert d-Moll KV 466 komponiert wurde, sowie eine große Akademie zum Saisonschluss im Burgtheater, alle mit großem Erfolg.7

 

  1. Vgl. Karl Eduard Schimmer: Alt und neu Wien. Geschichte der österreichischen Kaiserstadt, Bd. 2. Wien 1904, S. 131f. []
  2. Vgl. Helmut Kretschmer: Musiktopographie. In: Wiener Musikgeschichte. Von der Prähistorie bis zur Gegenwart (= Geschichte der Stadt Wien, Band 7). Hrsg. von E. Fritz-Helscher und H. Kretschmer. Wien 2011, S. 544. []
  3. Vgl. Christina Meglitsch: Wiens vergessene Konzertsäle. Der Mythos der Säle Bösendorfer, Ehrbar und Streicher. Frankfurt a. M. 2005, S. 35f. []
  4. Vgl. Meglitsch 2005, S. 33ff. []
  5. Vgl. Eduard Hanslick: Geschichte des Konzertwesens in Wien. Wien 1869, S. 69. []
  6. Vgl. Gernot Gruber: Mozarts Akademien. In: Mozarts Lebenswelten. Hrsg. von L. Lütteken und H.-J. Hinrichsen. Kassel 2008, S. 248. []
  7. Vgl. Kretschmer 2011, S. 544. []