Händel in Wien

Mozarts erster Kontakt mit Händel

Mozart bearbeitete erstmals ein Werk von Händel im Alter von acht Jahren. Vor König George III.1 improvisierte er 1764 eine neue Melodie über dem Generalbass einer Händel'schen Arie. Der Vater schrieb dazu:

"Endlich hat er die Violon stimme der Händelischen Arien (die von ungefehr da lagen) hergenommen, und hat über den glatten Bass die schönste Melodie gespiellet, so, daß alles in das äusserste Erstaunen gerieth."2

Allerdings wird im Folgenden eine andere Form der Bearbeitung betrachtet, die keineswegs als Improvisation verstanden werden kann. Es handelt sich bei den Bearbeitungen von Oratorien Händels durch Mozart um durchdachte Arrangements, die einer Aktualisierung der Werke auf den Klangkörper des Orchesters der 1780er Jahre dienen sollten. Demnach sind weniger melodische und harmonische Korrekturen am Werk vollzogen worden, als vielmehr Änderungen der Besetzung, eben im Hinblick auf Aktualisierung.
Mozart bearbeitete insgesamt vier Oratorien, deren Fertigstellung alle in die Jahre 1788-1790 fallen. Dazu gehören Acis und Galatea KV 566 (aufgeführt 1788), Der Messias KV 572 (1789), Das Alexanderfest KV 591 und Ode auf St. Caecilia KV 592 (die beiden letzteren vermutlich aufgeführt 1790)3.

Gottfried van Swieten und die Wiener Tonkünstlersozietät

Immer wieder taucht in Abhandlungen über die Rezeption der Barockmusik zur Zeit der Wiener Klassik der Name Gottfried van Swietens auf. Im Hinblick auf Mozarts Händelbearbeitungen ist es nicht anders. Van Swieten förderte maßgeblich die Aufführungen von Werken alter Meister sowohl im privaten, als auch im öffentlichen Raum. Doch scheint er trotz der Bedeutung, die ihm in der Forschung beigemessen wird, nicht der einzige prominente Förderer dieser Musik gewesen zu sein.

Schon Christoph Willibald Gluck setzte auf das Händel'sche Oratorium Alexanderfest, das am 10. März 1771 auf dem Gründungskonzert der Wiener Tonkünstlersozietät gegeben wurde, um die Gunst der Kaiserin Maria Theresia zu erhalten. Ohne ihr Plazet wäre es nicht zur Gründung der Sozietät gekommen, und so wurden schon am 16. März die Statuten der Sozietät genehmigt4. Über den Eindruck, den das Alexanderfest auf Kaiserin Maria Theresia gemacht haben muss, kann nur spekuliert werden. Zumindest kann man aber vermuten, dass es ein positiver war.

Als van Swieten 1778 nach diplomatischen Aufenthalten in England und Berlin endgültig nach Wien zurückkehrte und seine Anstellung als Präfekt der k.k. Hofbibliothek antrat, knüpfte er sehr bald Kontakte zur Wiener Tonkünstlersozietät. Diese Sozietät kann wohl als erster privater Konzertverein Wiens bezeichnet werden, dessen Einnahmen ursprünglich zur Unterstützung Familienangehöriger verstorbener Musiker bestimmt waren5. Die Musiker dieses Vereins gehörten in erster Linie der Hofkapelle und dem Hofopernorchester an. Vor allem in der Weihnachts- und Fastenzeit gaben sie Benefizkonzerte, deren finanzieller Ertrag einen Teil der Einnahmen der Sozietät ausmachten. Aufführungsort war das Kärntnertor-Theater6.
Bereits kurze Zeit nach seiner Wiederkehr nach Wien scheint van Swieten einen so großen Einfluss auf die Tonkünstlersozietät gehabt zu haben, dass er das Programm des Konzerts der Fastenzeit 1779 maßgeblich mitgestaltete. Als Verehrer Händel'scher Oratorien setzte er für die Konzertabende des 21. und 23. März Händels Judas Macchabäus auf den Spielplan. Dieses Oratorium war vom Hofballetkomponisten Joseph Starzer musikalisch arrangiert worden7. Allerdings war das Konzert alles andere als ein Erfolg, was möglicherweise daran lag, dass das Oratorium ungekürzt aufgeführt wurde, was für die Zeit eher untypisch war8. Die daraus resultierenden fehlenden Einnahmen zwangen die Tonkünstlersozietät dazu, keine Oratorien mehr in voller Länge aufzuführen.

Van Swieten und die Gesellschaft der assocciierten Cavaliers

Einen leidenschaftlichen Anhänger der alten Musik wie Baron van Swieten konnte eine solche drastische Maßnahme nicht zufrieden stellen. Wohl als Reaktion auf die Verbannung des Oratoriums aus dem öffentlichen Konzertbetrieb wandte sich van Swieten immer mehr den Aufführungen im privaten Raum zu. Er lud nun Musiker und Musikliebhaber zu sich in die Hofbibliothek ein, wo gemeinsam musiziert wurde. Spätestens ab 1782 gehörte auch Mozart zu diesem Kreis, der dem Baron nicht bloß Fugen und sonstige Klavierstücke vorspielte9, sondern auch durch van Swietens hervorragende Sammlung an Noten und Partituren einen Weg zum Studium der barocken Musik fand.
Doch gab van Swieten das Ziel der Wiederaufnahme der Gattung Oratorium in das Wiener Konzertwesen nicht auf. Dazu gründete er die Gesellschaft der associierten Cavaliers, die ein Zusammenschluss Wiener Adliger zur Förderung alter und aber auch neuer Musik war. Zu der Gesellschaft, die bis zu van Swietens Tod 1803 bestehen blieb, gehörten die Fürsten Liechtenstein, Esterhazy, Schwarzenberger, Lobkowitz, Auersberg, Kinsky, Lichnowsky, Trautmannsdorf, Zinzendorf und die Grafen Czernin, Harach, Erdödy, Apponyi und Fries10. Die Konzerte der Gesellschaft fanden  ihren Höhepunkt in den Uraufführungen der Werke Schöpfung  (Hob. XXI:2) und Jahreszeiten (Hob. XXI:3) von Joseph Haydn in den Jahre 1798 und 1801.
Das erste Konzert der Gesellschaft der associierten Cavaliers präsentierte 1786 erneut den Judas Macchabäus in der Bearbeitung von Starzer. In der Forschung herrscht Uneinigkeit darüber, welche Räume generell als Konzertsäle für die Oratorien genutzt wurden. Sicher ist, dass einige der Akademien in Palästen der associierten Cavaliers, vor allem in denen der Fürsten Esterhazy und Schwarzenberg stattfanden. Ob die Hofbibliothek auch als Spielstätte genutzt wurde, ist strittig11.

Mozarts erneuter Kontakt mit Händel

Als Joseph Starzer am 22. April 1787 starb, kam nun gemäß van Swietens Wunsch Mozart die Aufgabe der Oratorienbearbeitungen hinzu. Ab 1788 kam es jedes Jahr zur Weihnachts- bzw. Fastenzeit zu Aufführungen einer dieser Bearbeitungen12. Die Arbeitsweise Mozarts beim Arrangieren ist relativ genau rekonstruiert worden. Zunächst wurde die Partitur, die im Besitz van Swietens war, von einem Kopisten auf die Singstimmen und Streicher reduziert. In diese Arbeitspartitur trug Mozart zum einen Korrekturen, zum anderen neue Bläserstimmen ein13. Alle Oratorien wurden auf deutsch aufgeführt. Für Acis und Galatea und für die Ode auf St. Caecilia übersetzte van Swieten wohl selbst aus dem Englischen14, für die anderen zwei Oratorien konnte er auf bereits vorhandene Übersetzungen zurückgreifen.

 

  1. Die Familie Mozart befand sich seit April 1764 in London und blieb bis Juli 1765 dort. []
  2. Brief Leopold Mozarts an Lorenz Hagenauer vom 28. Mai 1764. []
  3. Vgl. Andreas Holschneider: Das Alexander-Fest. In: Neue Mozart Ausgabe (NMA). Serie X: Bearbeitungen, Ergänzungen und Übertragungen fremder Werke. Abteilung 1: Bearbeitungen von Werken Georg Friedrich Händels. Bd. 3. Kassel 1962,  S. VIII. []
  4. Vgl. Bernd Edelmann: Bearbeitungen von Oratorien Händels. In: Das Mozart-Handbuch, Bd. 4. Mozarts Kirchenmusik, Lieder und Chormusik. Hrsg. von Thomas Hochradner/Günther Massenkeil. Laaber 2006, S. 316. []
  5. Webseite der Stadt Wien: www.wien.gv.at/kultur/archiv/geschichte/zeugnisse/haydnverein.html, Zugriff: 5.2.2012. []
  6. Vgl. Andreas Holschneider: Acis und Galatea. In: NMA. Serie X. Abteilung 1. Bd. 1. Kassel 1973, S. VIII-IX. []
  7. Vgl. Bernd Edelmann:  Bearbeitungen von Oratorien Händels. In: Hochradner/Massenkeil 2006, S. 318. []
  8. So war bereits das Alexanderfest, das vor Kaiserin Maria Theresia aufgeführt wurde, durch Kürzungen für den Kastraten Giuseppe Millico angepasst worden. Vgl. Edelmann 2006, S. 316. []
  9. S. Brief Mozarts an seine Schwester vom 20.4.1782. In: Mozart. Briefe und Aufzeichnungen, Bd.3. Hrsg. von Ulrich Konrad. Kassel 2005,  S. 202. []
  10. Vgl. Holschneider 1973, S. IX. []
  11. Vgl. Holschneider 1973, S. IX und Edelmann 2006, S. 320. []
  12. S. Aufführungsliste bei Holschneider 1973, S. XII. []
  13. Edelmann 2006, S. 322. []
  14. Vgl. Holschneider 1973, S. X. []