Zu Gast beim Baron – Mozart und seine Fugen

Betrachtet man Mozarts Wiener Œuvre fallen insbesondere um das Jahr 1782 einige Kompositionen auf, die so gar nicht in unser Bild von Mozarts Musikschaffen passen. Lesen wir doch im Werkverzeichnis tatsächlich von Fugen! Wie veraltet. Zu Mozarts Zeit waren solche Formen aus dem Barock als „angestaubt“ verpönt. Zwar gehörten kontrapunktische Techniken, auch die Kunstfertigkeit Fugen auf dem Klavier improvisieren zu können, immer noch zur Ausbildung eines Musikers dazu, im Konzertleben spielten sie aber keine Rolle und wurden von anderen Formen, wie beispielsweise der von Mozart maßgeblich geformten Klaviersonate, verdrängt. Aber woher kommt das Interesse, das Mozart dazu getrieben hat, selbst mit einigen Fugen zu experimentieren?

VAN SWIETEN UND DIE HOFBIBLIOTHEK

Gottfried Bernhard Freiherr van Swieten

Zuerst muss klargestellt werden, dass viele der uns überlieferten Fugen keineswegs als eigenständige Werke bewertet werden dürfen, ohnehin sind viele Fugen nur fragmentarisch überliefert. 1 Der Grund für die eifrige Komposition der Fugen ist an einen ganz bestimmten Ort gebunden. Zu diesem Ort gehört ebenso eine bestimmte Person: Gottfried Bernhard Freiherr van Swieten. Geboren 1733 in Leyden in den Niederlanden kam van Swieten bereits 1745 nach Wien, als sein Vater als privater Arzt für Kaiserin Maria Theresia einberufen wurde. Als Diplomat mit zahlreichen Reiseunternehmungen machte sich van Swieten schnell einen Namen, sowohl in Berlin als auch in Brüssel, Paris und Warschau, lernte einflussreiche Gestalten des Wiener Politiklebens, sowie auch der Musikszene kennen. Van Swieten wurde 1777, kurz vor seinem Zusammentreffen mit Mozart, Präfekt der Hofbibliothek. Als Musikliebhaber veranstaltete er in ebendieser, genauer gesagt in seinen eigenen Diensträumen, sonntagnachmittägliche „Musikrunden“, in denen alte Meister vom Blatt gespielt wurden. Auf seinen Reisen nach Berlin kam er in der Umgebung von Prinzessin Anna Amalie mit der Musik der Familie Bach, sowie mit den Partituren Händels in Kontakt und pflegte eine kleine Abschriftensammlung dieser Komponisten. In diesen Kreis, in dem der „stile antico“, also der kontrapunktisch strenge Stil der letzten Komponistengenerationen, gepflegt wurde, gesellte sich Mozart in den Jahren 1782 und 1783 wohl fast jeden Sonntag.2

FUGEN UND KIRCHENMUSIK

„Denn wir lieben uns mit allen möglichen Meistern zu unterhalten; - mit alten und mit Modernen“3

schrieb Mozart am 29. März 1783 an seinen Vater, mit der Bitte verbunden, ihm weitere alte Kirchenmusik zu schicken, denn hauptsächlich in diesen Werken wurden Fugen auch zu Mozarts Zeit noch komponiert. Vielleicht wollte er diese ja studieren? Im Gegensatz zu Konzertmusik, die in Wien einem regen Verbrauch unterworfen war, hatten Kirchenwerke eine längere „Halbwertszeit“. Schließlich galten Stücke, die für die Kirche geschrieben worden waren, oft als rein für das Gotteslob gedacht und waren nur bedingt dem Geschmack der launigen Gesellschaft unterworfen. Mozart wollte schließlich nicht, dass man die

„wahre kirchenMusic – unter dem Dache – und fast von würmern gefressen – findet“.4

Vorausgesetzt die Musik hatte entsprechende Qualität, wurde sie vor dem auserlesenen Kennerkreis bei van Swieten vorgetragen. Dabei nennt Mozart sowohl Vater Bach, als auch den zu seiner Zeit mindestens genauso bekannten Carl Philip Emmanuel Bach in einem Atemzug mit Händel, Haydn und Eberlin. Einen musikalischen Kanon zu bilden oder sich gezielt von diesen Musikern abzusetzen versuchte er aber wohl eher nicht, schließlich lag das Hauptaugenmerk auf den musikalisch relevanten Passagen. So wurde weniger ein Historismus angestrebt in dem Mozart sich auch noch selbst verortet haben könnte, als dass die Musik selbst Gegenstand der Sitzungen war.

Hofbibliothek um 1780

Der Vortrag der Stücke war aber an diesen Ort in van Swietens Hofbibliothek gebunden. Außerhalb der kleinen Gruppe wurden die Stücke mit wenigen Ausnahmen nicht mehr im Konzertsaal gespielt, zumal selbst van Swietens Archiv eher klein vermutet werden muss, angesichts der großen Musikproduktion eines Bach oder Händel. Van Swieten war der erste, der Mozarts Requiem, KV626 in einer ersten Fassung nach Mozarts Tod zu seinen Ehren uraufgeführt hat: Mit Hilfe von Adeligen konnte er, nachdem er die „Gesellschaft der Associierten Cavaliere“ gegründet hatte, genug Geld für Aufführungen sammeln. Man kann ihn, nachdem er nach dem Tod seines Vaters über etwa das zehnfache von Mozarts damaligem Vermögen verfügen konnte, durchaus als Mozarts Mäzen bezeichnen. Durch seinen engen Kontakt zur Mozartfamilie auch nach Mozarts Tod, dürfte er als einer der größten Förderer des Komponisten gelten.
Während Bachs Klavierfugen vermutlich als Vorlagen für die meisten der uns heute zugänglichen Fugenfragmente dienten – einige der Bachfugen arrangierten van Swieten und Mozart für andere Instrumente, vermutlich um sie beispielsweise im Streichquartett vortragen zu können5 –, dienten Händels Oratorien hingegen als Vorlage für Opernszenen und eher deplaziert wirkende Fugen in Opern wie Don Giovanni.6 Es ist zu vermuten, dass Mozart dort alten und neuen Stil bewusst kontrastierend gegenüberstellt und die Einbettung der alten Gattungen in für ihn modernen Zusammenhängen erprobt.
Die berühmtesten Mozartfugen finden sich vielleicht im Requiem, KV626: Kyrie und Quam olim Abrahae. Außerhalb dieses klar bestimmten Ortes in der katholischen Liturgie scheinen die Fugen eher erprobenden Charakter zu besitzen, schließlich ist die Fuge zu beherrschen für Mozart nicht mehr so relevant wie zu Bachs Zeit. Nützlich ist sie ihm als improvisatorisches Mittel am Klavier: So kann man mit wenigen Mitteln aus einem einfachen Thema ein gesamtes Stück erklingen lassen, ohne bereits einen Satz im Kopf zu haben; besonders geeignet war dies wohl um reiche Fürsten zu beeindrucken: für den oft in Geldnot befindlichen Mozart war das zunehmend wichtig.
In Wien komponierte er aus diesen vielfältigen Gründen auch nur zwei als selbstständige Werke zu bezeichnende Klavierfugen, nämlich die dreistimmige Fuge mit einem Präludium für Klavier in C-Dur, KV 394, sowie die vierstimmige Fuge für zwei Klaviere in c-Moll, KV 426.
An seine Schwester schickte er am 20. April 1782 die C-Dur-Fuge, um auch in seiner Familie etwas vom angeeigneten Wissen zu verbreiten. Ohne seine Frau Konstanze wären die Stücke wohl beinahe nicht aufgeschrieben worden, so schreibt er nämlich in diesem Brief:

„die ursache dass diese fuge auf die Welt gekommen ist wirklich Meine liebe konstanze. – Baron van suiten, zu dem ich alle Sonntage gehe, hat mir alle Werke des händls und Sebastian Bach nachdem ich sie ihm durchgespiellt nach hause gegeben.7 […] – weil sie mich nun öfters aus dem kopfe fugen spiellen gehört hat, so fragte sie mich ob ich noch keine aufgeschrieben hätte? – und als ich ihr Nein sagte. – so zankte sie mich recht sehr dass ich eben das künstlichste und schönste in der Musick nicht schreiben wollte; und gab mir bitten nicht nach, bis ich ihr eine fuge aufsezte, und so ward sie.“8

Im gleichen Brief bemängelt Mozart die Fugen des Komponisten Johann Ernst Eberlin. Lauter in „die länge gezogenen versettl“ seien vom deutschen Komponist geschrieben worden, an Bach oder Händel kämen sie nicht heran. Wie schon beschrieben ging es Mozart um musikalische Qualität.

EINFLUSS AUF MOZARTS MUSIK

Zwar gaben Bachfugen einen gewissen schöpferischen Impuls für eigene Kompositionsversuche, Pläne weitere Fugen zu schreiben wurden von Mozart aber schnell verworfen oder gingen in anderen Produktionsphasen unter. So ist zu vermuten, dass die Stücke eher der Anordnung von kompositionstechnischen Problemen und deren Lösung in Art eines „try and error“-Prinzips dienten; einige der Fugenfragmente existieren in mehreren unterschiedlichen Fassungen, in denen zum Beispiel verschiedene Arten, die Exposition zu gestalten, sichtbar werden. Für uns heute ein wertvoller Einblick in den Kompositionsprozess. Dennoch hatten die Übungen wohl einen Hörbaren Effekt auf Mozarts spätere Musik, die mit zunehmendem Alter insbesondere kontrapunktisch an Qualität gewinnen.

Letztendlich muss festgestellt werden, dass die Fugen wie kaum eine andere Gattung an van Swietens Gastfreundschaft und seinen musikalischen Kennerkreis gebunden ist. Ohne den allsonntäglichen „Kaffeeklatsch“ wären Mozartfugen nicht entstanden, schließlich existierte in Wien zu dieser Zeit ansonsten kein Raum, der für entsprechende Kompositionen zugänglich gewesen wäre.

  1. Fragmente, die in Wien komponiert wurden, sind namentlich: Fuge in D-Dur KV73w, Fuge in F-Dur KV375h (KV Anh. 109g Nr. 14), Fuge in F-Dur KV Anh. 33 und 40 (383b), Fuge in c-Moll KV Anh. 39 (383d), zwei kontrapunktische Skizzen in Es-Dur und c-Moll KVdeest, Fuge in e-Moll KVdeest, zwei Fragmente in Es-Dur KVdeest, Fuge in g-Moll KV154 (383k), Fuge in Es-Fur KV153 (375f), Fuge in c-Moll KV Anh. 39a (626b) und Fuge in d-Moll KVdeest. []
  2. Vgl. Barbara Boisits: Art. "Swieten, Gottfried (Bernhard) Freiherr van". In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), Bd. 16. Kassel/Stuttgart 2005, S. 363f. []
  3. Brief vom 29. März 1783. In: Briefe und Aufzeichnungen, Bd. 3. Hrsg. von Wilhelm A. Bauer/Otto Erich Deutsch. Kassel 2005, S. 262. []
  4. Brief vom 12. April 1783. In: Bauer/Deutsch (Hrsg.) 2005, S. 264. []
  5. Beispielsweise KV 405. []
  6. Beispielsweise die Arie Ah fuggi il traditor der Donna Elvira. []
  7. Natürlich sind hier solche gemeint, die van Swieten zu Hause hatte, das war – wie bereits angedeutet – keineswegs das gesamte Werk. []
  8. Brief vom 20. April 1782. In: Bauer/Deutsch (Hrsg.) 2005, S. 202f. []