Die Maurerische Trauermusik

Für sein Verzeichnüß aller meiner Werke von Monath Febrario 1784 bis Monath… verfasst Mozart im Juli 1785 folgenden Eintrag: "Maurerische TrauerMusick beÿ dem Todfalle des Brbr: Meklenburg und Esterhazÿ. – 2 violini, 2 viole, 1 Clarinett, 1 Baßethorn, 2 oboe, 2 Corni e Baßo.“1 Der Aufführungszweck scheint auf der Hand zu liegen - Herzog Georg August von Mecklenburg-Strelitz und der Hofkanzler Franz Graf Esterhaźy von Galántha waren gestorben. Zweifel an dieser Aussage drängen sich jedoch auf, wenn man sich die Tatsache vor Augen führt, dass die beiden Fürsten nicht etwa im Juli 1785, sondern erst im November desselben Jahres das Zeitliche segneten.2 Die Maurerische Trauermusik existierte also schon ein halbes Jahr zuvor. Im Autograph des Werkes lässt sich beobachten, dass Mozart seiner Partitur zu einem späteren Zeitpunkt zwei Bassethörner3 und ein „gran fagotto“ hinzufügte. Für die beiden Verstorbenen fanden vermutlich zwei Trauerfeiern in den Logen „Zur gekrönten Hoffnung“ und „Zu den drei Adlern“ statt. Bei letzterer waren, wie aus dem Anwesenheitsprotokoll hervorgeht, die drei Musiker Anton David, Vincent Springer und Theodor Locz anwesend. Ihre Anwesenheit könnte der Grund für die von Mozart vorgenommene Nachinstrumentierung gewesen sein (KV 479a).4 Dies ist ein Aspekt, der auf einen direkten Zusammenhang zwischen dem sozialen Raum der Freimaurerloge und der Komposition hindeuten könnte. Er erklärt jedoch nicht die Datierung des Stückes, die von Mozart für den Juli 1785 vorgenommen wurde.

Wurde das Werk womöglich ursprünglich gar nicht für eine Trauerfeier komponiert? Und gibt es musikalische Hinweise im Werk selbst darauf, dass es auch in dieser ursprünglichen Form ein Freimaurerstück war?

Freimaurerisch-rituelle Bezüge des Werkes

Der Mozartbiograph Alfred Einstein merkte zu Mozarts Komposition an: „Das Werk besitzt eindeutig und zweifelsfrei freimaurerisch-rituelle Bezüge. Es ist kein Kirchenwerk, aber unzweifelhaft eine religiöse Komposition.“5 Was aber sind die rituellen Bezüge? Warum schuf Mozart eine „religiöse Komposition“ wenn sie doch nicht für die Kirche bestimmt war? Und was ist eigentlich religiös an dieser Musik?

Eine Erklärung auf diese Vielzahl von Fragen ist, dass sich durchaus Zusammenhänge zwischen der Maurerischen Trauermusik und dem maurerischen Meisterritual erkennen lassen. Das Abhalten einer separaten Totenfeier war in den Freimaurerlogen Wiens zu dieser Zeit nicht üblich; das Gedenken an die Toten konnte allerdings kombiniert werden mit dem Ritual der „Meistererhebung“.6 Das eindrucksvoll inszenierte Meisterritual beschäftigt sich ebenfalls auf intensive Weise mit dem Tod.7 Hierzu ein kurzer Auszug aus einem Eingangsritual des Meistergrades:

„Meister vom Stuhl: Indem hinter dem Altar inne gehalten wird, und er einen starken Hammerschlag thut: Gedenke an den Tod!
2ter Aufseher: Bey dem Todtenkopf in Norden: Nur der Thor waffnet sich wider Schrecken des Todes durch Vergessenheit. Unvorgesehen kömmt er fürchterlicher. […]
Meister vom Stuhl: Wie oben: Gedenke an den Tod, er ist unausbleiblich. […]
2ter Aufseher In Süden: Die Reise zum Tode ist eine Reise zum Ziel unserer Vollkommenheit.“8

Es wird deutlich, dass sich eine Trauermusik und eine Meistererhebung offenbar nicht notwendigerweise widersprechen, dass die Thematik bei beiden Ähnlichkeiten aufweisen kann.

Der Cantus firmus als Indiz für freimaurerischer Bezüge

Eine Deutungsvariante, die ebenfalls die These stützt, dass es sich bei der Trauermusik um ein freimaurerisches Werk handelt, argumentiert mit der Herkunft des Cantus firmus, der in den Takten 25-33 von den Oboen und der Klarinette gespielt wird und welcher in streng homophoner, chorischer Weise den bewegten Satz der Streicher kontrastiert. Mozart notierte das Choralthema auf einem separaten Blatt.
Das Choralthema stammt aus verschiedenen Verwendungskontexten. Lange wurde vermutet, dass als Grundlage lediglich die traditionelle gregorianische Choralmelodie der Lamentationen des Jeremias diente, die in der katholischen Karwochenliturgie gesungen werden. Dieser Aspekt mag zunächst befremden, doch bemerkte der Musikwissenschaftler Philippe A. Autexier, dass die Thematik der Lamentationen, nämlich die Zerstörung des Jerusalemer Tempels (der Cantus firmus erscheint auch im jüdischen Tempelgesang)9, im freimaurerischen Kontext symbolisch nur die Zerstörung des „leiblichen Tempels“ eines Freimaurers und dessen Erhebung in den Meistergrad ausdrücken könne.10
Nach dieser Deutung bestünde also ein direkter Bezug zwischen freimaurerischem Ritual und der Komposition.

Eine ergänzende Erklärung für das Auftreten des Choralthemas wurde später entdeckt. Es existieren nämlich unbestreitbare Parallelen zwischen Mozarts hier verwendetem Choralthema und dem Cantus firmus des „Te decet hymnus“ aus dem Eröffnungssatz in Michael Haydns (1737-1806) Requiem11, das 1772 in Salzburg aufgeführt wurde.12 Mozart hatte bei der Uraufführung dieses sogenannten Schrattenbach-Requiems in Salzburg selbst mitgewirkt, schätzte es hoch und orientierte sich auch in seinem eigenen Requiem an diesem Vorbild.13 Sowohl die vokale Satzanlage, als auch die Tonart c-moll und die Tempobezeichnung „Adagio“ stimmen in dem Requiem Haydns und in Mozarts Trauermusik überein.14 Aufgrund dessen ließe sich die Vermutung aufstellen, dass Mozart durch die Transformation von Teilen des Haydnschen Vokalwerkes zwar den ursprünglichen Charakter der Totenmesse beibehält, gleichzeitig aber, beispielsweise in der Instrumentierung des Choralthemas (z.B. durch die Verwendung von Bassetthörnern), eine Anpassung an den Ort der Freimaurerloge und den Anlass des Meisterrituals vornimmt.

Einen alternativen Erklärungsansatz liefert Helmut Hell. Durch seine Analyse auf Basis gregorianischer Stilistik gelingt es ihm, per Ausschlussverfahren den Psalmtext herauszufiltern, der seiner Meinung nach ausschließlich auf das gregorianische Choralthema verwendet werden konnte.15 Es handelt sich um den ersten Vers des bekannten Psalm 133, dessen Text lautet: „Ecce quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum.“ Luther übersetzt dies mit: „Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ Dieser Psalm betont das für die Freimaurerei bedeutende Ideal der Brüderlichkeit. Noch heute hat dieser Psalm für die Freimaurer eine besondere Bedeutung.16 Ein enger Zusammenhang zwischen der Trauermusik und dem freimaurerischem Denken ist auch bei dieser Deutungsvariante gegeben.

Die Entscheidung, welche dieser Auffassungen nun die überzeugendste ist, sei jedem selbst überlassen. Sie weisen jedoch alle darauf hin, dass das Werk in seiner musikalischen Anlage freimaurerisch-rituelle und religiöse Züge aufweist. Mozart schuf auf diese Weise eine der Trauermusik inhärente Verbindung zur freimaurerischen Praxis und Weltanschauung und machte sein Werk deshalb auch ohne Text zu einer genuin freimaurerischen Musik.

  1. Zit. nach: Heinz Schuler: Mozarts „Maurerische Trauermusik“ KV 477/479a. Eine Dokumentation. In: Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum 40, 1992, S. 57. []
  2. Vgl. Schuler 1992, S. 47. Mozart hat im Zeitraum zwischen dem 8. Juni und dem 10. November 1785 offenbar keine Eintragungen vorgenommen und die entstandenen Kompositionen erst später nachgetragen. []
  3. Vgl. Hans-Josef Irmen: Freimaurermusik. In: Mozarts Kirchenmusik, Lieder und Chormusik. Hrsg. von Thomas Hochradner/Günther Massenkeil (= Bd. 4 Mozart Handbuch, Hrsg. von Gernot Gruber u.a.), Laaber 2006, S. 567. In Mozarts Werken kristallisiert sich eine Klangsymbolik des Bassetthorns heraus, die auf Klage, Trauer und „Sehnsucht angesichts der existentiellen Grundsituation des Todes“ hinweist. Das Bassetthorn erlangt somit im Zusammenhang mit dem Meisterritual eine „Memento mori“-Symbolik. []
  4. Vgl. Schuler 1992, S. 56; Philippe A. Autexier: Mozart als Freimaurer. Wege und Ziele der Forschung. In: Acta Mozartiana 32, 1985, S. 42-43; Harald Strebel: Der Freimaurer Wolfgang Amadé Mozart. Wien 1991, S. 100. Autexier hält die Auffassung, Mozart habe die Stimmen für den Bassetthornspieler Anton David geschrieben, für falsch, da jener schon bei der Aufführung der ursprünglichen Fassung, die für eine Meister-Erhebung am 12. August 1785 bestimmt war, mitgewirkt habe. Er geht von der Existenz dreier Fassungen aus: die Julifassung (KV 477) mit zweistimmigem Männerchor, die Novemberfassung, die ohne Chor aufgeführt wurde, und die Dezemberfassung, in der Mozart den fehlenden Chor durch eine Neuinstrumentierung zu ersetzen versucht habe. Harald Strebel vermutet eine Verwechslung seitens Autexier – Anton David habe ihm zufolge nicht mitgewirkt im August 1785. []
  5. Zit. nach: Schuler 1992, S. 46. []
  6. Vgl. Philippe A. Autexier: Wann wurde die Maurerische Trauermusik uraufgeführt? In: Mozart-Jahrbuch 1984/85,
    Hrsg. vom Zentralinstitut für Mozart-Forschung der internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg.
    Kassel/Basel/London 1986, S. 6-8; Schuler 1992, S. 56. []
  7. Vgl. Autexier 1986, S. 8. []
  8. „System der Freymaurer=Loge Wahrheit und Einigkeit zu den drey gekrönten Säulen“ im Orient von Prag“. Zit. nach: Schuler 1992, S. 44. []
  9. Vgl. Hans-Josef Irmen: Freimaurermusik. In: Mozarts Kirchenmusik, Lieder und Chormusik. Hrsg. von Thomas Hochradner/Günther Massenkeil, Laaber 2006 (= Mozart Handbuch 4), S. 560. []
  10. Vgl. Autexier 1986, S. 7. []
  11. Missa pro defuncto archiepiscopo Sigismundo, "Schrattenbach-Requiem", c-moll, Shermann 155 / Klafsky I/8. Anlass war der Tod seines Gönners Sigismund von Schrattenbach, der Salzburger Fürsterzbischof war. []
  12. Vgl. Theodor Göllner: Der Introituspsalm aus Michael Haydns Requiem in Mozarts Maurerischer Trauermusik. In: Mozart-Studien 1992, S. 11; Harald Strebel: Der Freimaurer Wolfgang Amadé Mozart. Wien 1991, S. 97. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass auch Michael Haydns Version des Choralthemas ein Rückgriff auf den Gregorianischen Choral „Incipit Lamentatio Jeremia“ ist. []
  13. Vgl. Angela Pachovsky: Missa pro defuncto archiepiscopo Sigismundo [c-moll]. "Schrattenbach-Requiem". Sherman 155. Klafky I/8. In: Oratorienführer. Hrsg. von Silke Leopold/Ullrich Scheideler. Kassel 2000, S. 331. []
  14. Es muss jedoch angemerkt werden, dass die Maurerische Trauermusik keine bestimmte Tonart bevorzugt. Es findet vielmehr ein Wechsel zwischen den Tonarten c-moll, Es-Dur und C-Dur statt. []
  15. Vgl. Helmut Hell: Mozarts Maurerische Trauermusik KV 477. In: Ars iocundissima. Festschrift für Kurt Dorfmüller zum 60. Geburtstag. Tutzing 1984, S. 130. Hell geht wie Autexier davon aus, dass zu der Trauermusik möglicherweise auch eine Vokalversion oder zumindest ein Vokalpart existierte. Der homophone colla-parte-Satz der Bläser, der die Sänger unterstützt haben könnte, bekräftigt diese These. Die Existenz einer solchen vokalen Variante konnte jedoch nicht bewiesen werden. []
  16. Lesen Sie hierzu: www.freemasons-freemasonry.com/psalm133.html. []