Das Lied zur Gesellenreise

Entstehung des Liedes

Mozarts Lied zur Gesellenreise - „Die ihr einem neuen Grade“ (KV 468) für eine Singstimme und Klavier- bzw. Orgelbegleitung - entstand in Wien im März 1785. Die Textgrundlage Lied zur Gesellenreise stammt aus der Feder des Wiener Schriftstellers Joseph Franz Ratschky und wurde 1785 im Journal für Freymaurer in der Version des Komponisten Johann Holzer abgedruckt.1 Es wird vermutet, dass Mozart Holzers Version des Liedes bei seinem eigenen Beförderungsritual in den Gesellengrad bereits schon einmal gehört hatte.2 Der konkrete Anlass für Mozarts Komposition ist ungeklärt. Möglich wäre, dass Mozart das Lied für das Gesellenritual seines Vaters Leopold Mozart schrieb.3 Ob das Lied nun tatsächlich Mozarts Vater gewidmet war, lässt sich jedoch angesichts der Quellenlage nur schwerlich beweisen. Dass es zum Anlass eines Gesellenrituals komponiert, wurde liegt allerdings sehr nahe.

Logenlieder der Freimaurer

Die Logenlieder der Freimaurer wiesen häufig einen rituellen Bezug auf. Sie wurden beispielsweise bei der Eröffnung und beim Schluß der Loge4 oder aber bei besonderen Anlässen gesungen. Aus einem Protokoll der einflussreichen Wiener Loge „Zur wahren Eintracht“ geht beispielsweise hervor, dass „bey der Gesellen Arbeit nebst der instrumental Musick auch vocal Musick zu gebrauchen“ sei.5 Das Singen von Liedern war im freimaurerisch-rituellen Zusammenhang daher durchaus keine Seltenheit. Logenlieder waren meist einstimmige Lieder für Männerstimmen, die a capella oder mit einfacher Begleitung gesungen wurden.

Mozarts Gesellenreise

Im Falle Mozarts Version des Lieds zur Gesellenreise überrascht die Verwendung einer Orgel als Begleitinstrument, wurde doch Holzers Komposition noch lediglich von einem Cembalo begleitet.6 Tatsächlich hatte sich die Loge „Zur Wahren Eintracht“ eine Orgel gekauft, damit die Lieder „zur Erweckung der Andacht“7 mit einer solchen begleitet werden konnten. Die Orgel wird somit aus ihrem primär kirchlichen Kontext herausgenommen und dazu verwendet, eine spirituelle Stimmung bei den Freimaurertreffen zu kreieren.
Der Text des Liedes scheint dieser auf den ersten Blick allerdings kaum sonderlich religiös zu sein, erinnert dafür umso mehr an die Zauberflöte.

Die ihr einem neuen Grade
Der Erkenntniß nun euch naht,
Wandert fest auf eurem Pfade!
Wißt! Es ist der Weisheit Pfad.
Nur der unverdroßne Mann
Mag dem Quell des Lichts sich nahn.

Nehmt, o Pilger, zum Geleite
Eurer Brüder Segen mit!
Vorsicht sey euch stets zu Seite!
Wißgier leite euren Schritt!
Prüft, und werdet nie dem Wahn
Träger Blindheit unterthan!

Rauh ist zwar des Lebens Reise,
Aber süß ist auch der Preis,
Der des Wandrers harrt,
der weise Seine Fahrt zu nützen weiß.
Glücklich, wer einst sagen kann:
Es ist Licht auf meiner Bahn!8

Beschrieben wird hier „des Lebens Reise“, die vom Wanderer auf der Suche nach Erkenntnis und Weisheit zum „Licht“ als erklärtes Ziel führen soll. Dies ist also eine Perspektive, die das Diesseitige, das Forschen und das Erkennen der weltlichen Dinge zu ihrem Zweck erhebt. Befremdlich wirkt in diesem Kontext jedoch der Vers „Nehmt, o Pilger, zum Geleite / eurer Brüder Segen mit“, der dem Text durch die Wortwahl einen deutlich religiösen Beigeschmack verleiht, der nicht nur rein metaphorisch gedacht werden sollte. Vielmehr sind die Freimaurerlieder Mozarts geprägt von einem freimaurerischen Selbstverständnis, das Religiöses mit Weltlichem zu vereinbaren scheint. Mentalitätsgeschichtlich ist ein solches Denken durchaus möglich. Die Naturphilosophie Robert Boyles und Isaacs Newtons trug zu einer religiösen Sichtweise bei, die Gott als vernünftigen Baumeister des Universums verstand.9 Daraus resultierte eine dem Diesseits zugewandte Weltsicht, die es zuließ, religiöse und wissenschaftliche Ansichten miteinander zu vereinbaren.10 So ist der Name von Mozarts Loge „Zur Wohltätigkeit“ sicherlich kein Zufall, beweist er doch eine grundlegende Einstellung zur Nächstenliebe als diesseitige Ausprägung der Religion; aber auch die Forschung sollte dem Zweck dienen, die Mühseligkeiten des diesseitigen Lebens zu mildern.11
Doch was trägt die Musik zur Unterstützung dieser Weltanschauung bei? Um diese Frage zu klären, soll hier lediglich exemplarisch eine Stelle genauer betrachtet werden. Besonders auffällig ist Mozarts Behandlung der jeweils letzten beiden Verse einer Strophe (T. 16-24).

Sie werden zur Bekräftigung wiederholt. Darüber hinaus durchbricht die Wiederholung (T. 20-24) der Verse das bisherige musikalische Schema. Mozart verwendet nun nicht mehr wie zuvor durchgehende Alberti-Bässe, sondern wechselt zu einer akkordischen Begleitung, in Takt 22 sogar zu einer „intensivierenden nachschlagenden Akkordbegleitung“12. Außerdem lassen sich in diesen vier Takten in der Klavierbegleitung sowohl ein harmonischer Trugschluss als auch Sextakkordketten entdecken, beides charakteristische freimaurerische Stilmittel.13 Der harmonische Höhepunkt fällt in der Melodie mit dem auffälligen Sextsprung in Takt 21 zusammen; dieser verleiht der Textstelle „nur der unverdrossne Mann…“ besonderen Nachdruck.
Mozart nutzt an dieser Stelle die musikalischen Mittel einerseits, um die Kernaussagen in Ratschkys Gedicht, die exemplarisch für das freimaurerische Denken sind, zu unterstreichen und zu betonen. Andererseits wird die Musik durch die Verwendung freimaurerischer Stilcharakteristika eng verwoben mit den maurerischen Anschauungen, die der Text zum Ausdruck bringt - erzeugt wird dadurch ein in sich stimmiges Zeugnis freimaurerischen Denkens.

  1. Journal für Freymaurer 2, 1785, S. 117. Mit Holzers Komposition als Beilage. []
  2. Vgl. Schuler 1992, S. 56-57. []
  3. Vgl. Hans-Josef Irmen, MGG² Sachteil, Bd. 3, Freimaurermusik, Sp. 881; Mozart Handbuch. Chronik – Werk – Bibliographie. Hrsg. von Otto Schneider/Anton Algatzy. Wien 1962, S. 152. Dieser wurde am 6. April 1785 von der Loge „Zur Wohltätigkeit“ initiiert und erlangte am 16. April in der „Wahren Eintracht“ den zweiten Grad. []
  4. Wolfgang Amadeus Mozart: KV 483 „Zur Eröffnung der Loge“ und KV 484 „Zum Schluß der Loge“. []
  5. Die Protokolle der Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ (1781-1785). In: Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mittelereuropa 1770-1850“. Zit. nach: Hans-Josef Irmen: Freimaurermusik. In: Mozarts Kirchenmusik, Lieder und Chormusik. Hrsg. von Thomas Hochradner/Günther Massenkeil. Laaber 2006 (= Mozart Handbuch 4), S. 552. []
  6. Im Autograph Mozarts ist die Begleitung eine Orgel, laut eigenhändigem Werkverzeichnis allerdings mit „Clavier“-Begleitung (Otto Erich Deutsch: Neue Ausgabe sämtlicher Werke III/8. Kassel u.a. 2007, S. 18f). []
  7. Vgl. Hans-Josef Irmen: Mozart – Mitglied geheimer Gesellschaften, Zülpich 1991, S. 62. []
  8. Zit. nach: Schuler 1992, S. 217-218. []
  9. Vgl. Ernst Wangermann:  Freimaurerei in Wien im 18. Jahrhundert: Organisation und mentalitätsgeschichtlicher Standort. In: Hochradner/Massenkeil 2006, S. 546. []
  10. Vgl. Wangermann 2006, S. 546. []
  11. Vgl. Wangermann 2006, S. 546. []
  12. Wilhelm Fischer. Zit nach: Ernst August Ballin: Das Wort-Ton-Verhältnis in den klavierbegleiteten Liedern W. A. Mozarts (= Schriftenreihe der internationalen Stiftung Mozarteum 8). Kassel/Basel/London 1984, S. 51. []
  13. Vgl. Irmen 2006, S. 553. []