Joseph Deym alias Müller und seine Kunstgalerie

Graf Joseph Deym. www.wiener-gasometer.at/de/technik/thermolampe-winzler.html (10. Juli 2013).

Graf Joseph Deym. www.wiener-gasometer.at/de/technik/thermolampe-winzler.html (10. Juli 2013).

Mozart komponierte zwischen Dezember 1790 und Mai 1791 drei Stücke für automatisch spielende Orgeln – KV 594, 608 und 616. Diese wurden von Joseph Deym für die in seiner Kunstgalerie befindlichen Musikautomaten bei Mozart bestellt. Deym ist wahrscheinlich nie eng mit Mozart befreundet gewesen. Die Verbindung zu Mozart entstand durch Vermittlung des Bildhauers Leonhard Posch, der zwei Jahre zuvor ein Wachsrelief von Mozart anfertigte und regelmäßig für die Deym’sche Kunstgalerie gearbeitet hat.1

Aber wer war eigentlich dieser Deym, der seiner Zeit unter dem bürgerlichen Pseudonym Müller Bekanntheit in Wien erlangte und dessen Biographie nicht zuletzt dadurch spannend ist, dass sie vermutlich einen Mythos enthält, der wohl aus dem Fortschreiben eines Recherchefehlers aus dem 19. Jahrhundert resultiert?

Joseph Deym (geb. am 4. April 1752 in Wognitz, gest. am 27. Jänner 1804 in Prag) war eigentlich Adliger – ein Graf, der einem alten böhmischen Rittergeschlecht entstammte. Die Familie Deym von Stritetz war indes nicht vermögend und deshalb durchaus auf Dienste beim Landesherrn angewiesen.2

 

Das angebliche Duell

Nachdem Deym 1774 krankheitshalber von seinem Dienst als Unterleutnant des k.k. Albertischen Carabiner-Regiments beurlaubt worden war und eine Verlängerung der Beurlaubung abgelehnt wurde, kehrte er nie wieder zu seinem Regiment zurück.3 In der erst 1775 von Wien aus eingereichten Quittierung führt er abermals gesundheitliche Beschwerden an – „einem Brustdefekt, [mit] ofterm Bluterbrechen“.4
In diesem Zusammenhang wird in der Literatur immer wieder eine Flucht nach einem Duell behauptet. Diese ließe sich aber zumindest aus dem Hofkriegsratsakt (HKR) nicht ableiten.5 Die tatsächlichen Gründe für seine Entlassung sind heute nicht mehr eindeutig zu rekonstruieren. Lediglich der Umstand, dass die Beglaubigung durch den Präsidenten des Hofkriegsrats unterschrieben wurde, und der Hinweis auf „anderweitig besorgliche ausschweiffungen“6 lassen auf einen gewissen Konfliktstoff schließen. Immerhin schrieb das für die k.k. Armee geltende Duellmandat sogar die Hinrichtung von Duellanten vor.7  Eine selbst eingereichte Quittierung ohne weitere Konsequenzen seitens des Hofkriegsrates scheint deshalb nicht schlüssig.
Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine historische Verwechslung mit seinem Onkel Johann Wilhelm Joseph Deym, der ebenfalls eine militärische Karriere für sich vorsah, diese aber jäh beendete, als er 1721 den französisch-lothringischen Regimentsleutnant Georg Maximilian von Czeyka im Duell tötete und außer Landes fliehen musste.8 Wahrscheinlich trugen Namensgleichheit und die ähnlichen Lebensläufe zur Mythenbildung bei. Selbst im Biographischen Lexikon des Kaiserhauses von Konstantin Wurzbach aus dem Jahre 1887 ist von dem Duell die Rede. Die darin benannten Quellen – ein Nachruf auf Joseph Deym von seinem Sohn von 1853 und das Lexikon der Deutschen Grafenhäuser der Gegenwart aus dem Jahre 1854 geben bezüglich eines Duells jedoch nichts her.9

 

Kunstgalerie

Von Deym angefertigte Wachsbüste Leopold II. (1747–1792). Annemarie Kahr: Faszination oder Abscheu. Diplomarbeit Universität Wien 2006, S. 134.

Von Deym angefertigte Wachsbüste Leopold II. (1747–1792). Annemarie Kahr: Faszination oder Abscheu. Diplomarbeit Universität Wien 2006, S. 134.

Die Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Armee verbrachte Deym im Ausland. Dabei erlernte er unter anderem die Fertigkeit Wachs kunstvoll zu modellieren. Im Mai 1789 eröffnete er erstmalig ein Wachsfigurenkabinett und zwar in einer Wohnung am Kohlmarkt, also gleichsam direkt vor den Türen der Hofburg in bester Lage. Zum Vergleich: Zur selben Zeit wirkte in Paris Marie Tussaud (damals noch Grosholtz) ebenfalls bereits als Wachsbildnerin, eröffnete aber ihr berühmtes Museum in London erst 1835. Mit Beginn seiner Tätigkeiten als Modelleur und Aussteller begann Deym sich nach und nach eine neue Identität zu aufzubauen, die ihm einen publikumswirksamen Ruf verschaffen sollte. Dazu gehörte auch die Verwendung eines Pseudonyms – Müller, ein „Allerweltsname“, der auf eine bürgerliche Herkunft schließen lassen sollte.10

Anfänglich erregte die Müller’sche Kunstgalerie eher als Kuriositätensammlung Aufmerksamkeit in der Wiener Bevölkerung, enthielt sie doch zunächst nur die selbstgefertigten Wachsfiguren. Weil aber bald auch erstklassige Gipsabgüsse berühmter antiker Statuen, Uhren und Musikautomaten hinzukamen, konnte durchaus einem gewissen künstlerischen Niveau entsprochen werden. Da Deym, der sich nun eben Müller nannte, seine Kunstsammlung ständig erweiterte, musste er in den darauffolgenden Jahren immer öfter aus Platzgründen den Standort wechseln. Er zog vom Kohlmarkt zum Stock-im-Eisen-Platz und errichtete in der Himmelpfortgasse zeitgleich ein Mausoleum zu

Das Müller’sche Gebäude. Aquarell von F. Sager.
Wienmuseum, Inv. Nr. 70925.

Ehren des 1790 verstorbenen Feldmarschalls Gideon Ernst von Laudon. Nachdem er auch mit dem Mausoleum zum Stock-im-Eisen-Platz übersiedelt war, ging es 1795 wiederum zurück auf den Kohlmarkt, um die Exponate schließlich 1798 in einem eigens für die Galerie errichteten Gebäude in der Rotenturmstraße (Müller’sches Gebäude) auszustellen. Damit befand sich die Müller’sche Kunstgalerie von Beginn an in nächster Entfernung zum Wiener Hof, folglich auch im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Geschehens.

Müller/Deym war nicht nur ein begnadeter Wachsmodelleur, sondern auch ein talentierter Geschäftsmann. Seine Kunstgalerie nahm in der Wiener Sammlungslandschaft eine Sonderstellung ein, da jedermann sie gegen Entgelt besichtigen konnte. Um auf sie aufmerksam zu machen, schaltete er Werbeannoncen in der Wiener Zeitung. Zudem konnten alle Exponate käuflich erworben werden. Deym inszenierte sie mittels musikalischer Untermalung und stilvoller Beleuchtung und zog damit das Publikum in einen Bann.11

 

Mozarts Totenmaske

Da mehrere Berichte existieren, kann man davon ausgehen, dass Deym eine Totenmaske von Mozarts Gesicht angefertigt hat. In einem Brief von Constanze Mozart an Breitkopf & Härtel vom 17. Februar 1802 heißt es: „Ich gebe Ihnen die Nachricht, daß [...] Graf v. Deym [...] den Kopf Mozarts gleich nach seinem Tode in Gips abgeformt hat“.12 Die Totenmaske könnte sogar bei Deym ausgestellt worden sein. So schrieb der Sohn Mozarts, Franz Xaver Wolfgang, 10 Jahre später ebenfalls an den Leipziger Verlag: „Eine zwar angefangene aber nicht vollendete Büste meines Vaters befindet sich in Wien in dem bekannten Müller’schen Kunstkabinette“.13
Was mit der Maske danach genau geschehen ist, konnte bis heute nicht geklärt werden. In dieser historischen Lücke tauchte zwar 1948 eine Mozart-Maske auf, die für die verschollene, von Joseph Deym angefertigte ausgegeben wurde, sich dann aber doch als unecht erwies.14

 

  1. Vgl. NMA, IX/27/2, Kassel u.a. 1982, S. XX. []
  2. Vgl. Gabriele Hatwagner: Die Lust an der Illusion. Über den Reiz der "Scheinkunstsammlung" des Grafen Deym, der sich Müller nannte. Diplomarbeit Universität Wien 2008 (Volltext online: http://othes.univie.ac.at/850/), S. 127. []
  3. Vgl. ebd., S. 32. []
  4. Wien, Staatsarchiv/Kriegsarchiv HKR 1776 76-9 Pro Memoria des Josef Grafen Deym vom 10. April 1775. []
  5. Vgl. Hatwagner, S. 33. []
  6. Wien, Staatsarchiv/Kriegsarchiv HKR 1776 76-9 Pro Memoria des Stabsquartier Ödenburg vom 29. Feb. 1776. []
  7. Vgl. Hatwagner, S. 33. []
  8. Vgl. ebd., S. 34. []
  9. Vgl. ebd., S. 34f. []
  10. Vgl. ebd., S. 36ff. []
  11. Vgl. ebd., S. 28 u. S. 127. []
  12. Constanze Mozart: Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente 1782 bis 1842. Im Auftrage des Mozarteums zu Salzburg mit einem biographischen Essay herausgegeben von Artur Schurig. Dresden 1922, S. 27. []
  13. Hans Bankl und Johann Szilvássy: Die Reliquien Mozarts. Totenschädel und Totenmaske. Wien 1992, S. 79. []
  14. Vgl. ebd., S. 83 – 91. []