Mozarts letzte Ruhe – Der Mythos Mozart und seine Entmystifizierung

Kaum ein anderes Thema hat in der Musikwissenschaft zu mehr Kontroversen geführt als Mozarts Tod. Insbesondere zu Mozarts 250. Jahrestag 2006 tauchten unzählige Studien auf, die die vermeintliche Todesursache Mozarts zu „klären“ scheinen. Sicher ist, dass wir bis heute nur aus Memoiren der Familie und Bekannten Mozarts, Totenbüchern, sowie den gesellschaftlichen Konventionen ableiten können, wie Mozarts Tod und seine Beerdigung tatsächlich abliefen. Problematisch ist hierbei, dass sich bereits kurz nach Mozarts Tod einige Legenden entwickelten, die aber allesamt leicht zu widerlegen sind. Ein gutes Beispiel für haltlose Spekulationen ist die viel zitierte Annahme, Mozart wäre von Antonio Salieri, seinem größten „Konkurrenten“, vergiftet worden. Zwar wurden solche Thesen bereits von einigen Autoren glaubwürdig widerlegt, ein gewisser Mystizismus lässt sich aber dennoch nicht unterdrücken. Höchstwahrscheinlich müssen wir Mozarts Ableben aber weitaus nüchterner aufnehmen.

DIE LETZTEN TAGE

Mozart komponiert das Requiem auf dem Sterbebett, links Konstanze. Gemalt 1854 von William James Grant

Der erste Mozartbiograf Georg Nikolaus von Nissen, der Mozarts Witwe Konstanze nach seinem Tod heiratete, konnte sich durch ihre Hilfe ein gutes Bild von Mozarts letzten Tagen machen. So schreibt er:

„Seine Todeskrankheit, wo er bettlägerig wurde, währte 15 Tage. Sie begann mit Geschwulst an Händen und Füssen und einer beynahe gänzlichen Unbeweglichkeit: derselben […]“1

Mehrere Biografien gehen davon aus, dass Mozart sein Requiem, KV626 noch auf dem Totenbett komponiert habe. Angesichts der schweren Erkrankung, der Mozart ab dem 20. November erlegen ist, ist dies aber zweifelhaft, zumal die Notenschrift im Requiem durchgängig einheitlich und sauber notiert wurde. Seine Schüler Joseph Eybler und Franz Xaver Süßmayr, der später das Werk vollendete, waren wohl öfter zugegen um am Requiem weiterzuarbeiten. Mozart wurde die letzten 15 Tage wohl auch von van Swieten, der das Requiem auch zuerst aufführte, besucht. Van Swieten, der zu Lebzeiten bereits ein enger Freund der Familie geworden war, übernahm später auch die Beerdigungsformalitäten.

DIE TODESURSACHE

Als offizielle Todesursache wird auf dem Totenschein Mozarts „hitziges Frieselfieber“ angegeben. Streng genommen beschreibt dieser Begriff aber nur Krankheitssymptome, nämlich jegliche Art von Fieber mit Ausschlägen der Haut. Auch deshalb können viele unterschiedliche Krankheiten als Todesursache vermutet werden. Aus heutiger Sicht wird angenommen, dass die Symptome, die auch Nissen beschreibt, am ehesten zu einem rheumatischen Fieber passen. Eine mögliche Schwächung des Herzens oder der Niere kann durch diese Schübe aber auch nicht ausgeschlossen werden.
Wahrscheinlich ist, dass durch die starken rheumatischen Schübe, durch Schwellungen und das geschwächte Immunsystem des Komponisten mehrere Organe angegriffen wurden und sich so gar kein einzelnes Symptom als letztendlicher Auslöser des Todes festzumachen ist. Ohnehin ist solche Spekulation, sei sie auch durch mehrere Beobachtungen der Angehörigen erschließbar, eher unsinnig, schließlich konnte die damalige Medizin anscheinend nichts mehr für Mozart tun. Schlimmer noch: damals übliche Praktiken wie der Aderlass, der auch im Totenbuch als bei Mozart angewendet verzeichnet ist, könnten den Tod noch beschleunigt oder erst ausgelöst haben. Der beständig erneute Versuch eine Todesursache zu finden, scheint in der Hoffnung zu geschehen, den vermeintlich frühen Tod erklären zu können, obwohl die 36 Jahre, die Mozart lebte, durchaus eine übliche Lebenserwartung zu dieser Zeit waren.
Er starb am frühen Morgen des 5. Dezembers 1791 im „kleinen Kayserhaus“, innere Stadt 970, heute Rauhensteingasse 8 im Bezirk Wien I., und wurde wenige Tage später auf dem St. Marxer Friedhof beerdigt.

DER ST. MARXER FRIEDHOF

Der Friedhof St. Marx wurde erst kurz vor Mozarts Tod im Jahre 1787 angelegt. Zuvor hatte Kaiser Joseph II. die Schließung der im Stadtkern befindlichen Friedhöfe als Hygienemaßnahme angeordnet und ab 1784 außerhalb des so genannten Linienwalls fünf neue Friedhöfe in Auftrag gegeben, die heute als Biedermeierfriedhöfe bekannt sind.2 St. Marx gehörte damals zum Bezirk Landstraße der noch größtenteils unbebaut war und lag somit weit außerhalb des Zentrums.

MOZARTS BEERDIGUNG

Mozartgrab auf dem St. Marxer Friedhof. 2005 aufwendig restauriert.

Joseph II. erließ in Wien während seiner Amtszeit eine Reihe unterschiedlichster Reformen. Dazu gehörte auch eine neue Begräbnisordnung, die am 23. August 1784 in Kraft trat. Auch Mozarts Beerdigung fiel unter diese neue Ordnung, die bei der Wiener Bevölkerung auf reichlich Widerstand stieß und auch für uns heute kaum nachvollziehbar ist. Erst nach einigen Jahren hatten viele Bürger die ökonomischen Vorteile und die puristische Einstellung Josephs II., der jeglichen Materialismus ablehnte, ebenfalls verinnerlicht. Neben der Verlegung der Friedhöfe auf außerhalb der Stadtgrenzen wurde auf jeglichen Prunk bei der Beerdigung verzichtet: Um den Verwesungsprozess zu beschleunigen, wurden bei der Beisetzung keine Holzsärge verwendet, die lediglich für die Überführung auf den Friedhof aus der Kapelle gedacht waren. In Leinensäcke eingenäht wurden die Leichen zu mehreren in Reihengräber gelegt und anschließend mit Kalkstaub bestreut. Dieses Begräbnis „3. Klasse“ wurde auch für Mozart gewählt. Allerdings ist es, wie oft behauptet wird, kein Armenbegräbnis gewesen, sondern entsprach den üblichen Vorgehensweisen der Zeit und ist Ausdruck für die Hervorhebung der geistlichen Einstellung Josephs II.3 Natürlich gab es auch Begräbnisse „1. oder 2. Klasse“. Warum Mozart kein entsprechend „besseres“ Begräbnis erhielt, ist heute nicht mehr zu rekonstruieren. Vielleicht hatte er es selbst so veranlasst, schließlich setzte er sich als Freigeist oft gegen bestehende Konventionen durch und sympathisierte mit den Reformbestrebungen der Zeit. Vielleicht war es auch die günstigste Variante für die Hinterbliebenen: van Swieten, der die Beerdigung organisierte, war eventuell bewusst, dass auf die Witwe Konstanze, die finanziell abhängig von Mozarts Einkünften war, noch genug Kosten zukommen würden. Konstanze besuchte das Grab erst nach 17 Jahren. Bereits zu diesem Zeitpunkt konnte der genaue Standort nicht mehr ermittelt werden, da nach sieben bis acht Jahren eine Einebnung vorgenommen wurde. 1855 wurde der Standort seines Grabes so gut wie möglich bestimmt und 1859 an der vermuteten Stelle ein Grabmal errichtet, das heute oft besucht wird.

NACHRUF

Letztendlich erweisen sich die meisten der vielen Spekulationen, Mythen und Legenden als romantische Verklärungen eines recht unschönen, frühen und realistischen Todes eines großen Komponisten. Sie dienen wohl dazu, diesen entsprechend zu dramatisieren oder die harte Lebensrealität auszuzieren. Dass der Komponist einsam und verarmt verstorben sei, ist aber schlichtweg falsch: Mozarts Leichnam wurde noch einige Stunden im Haus in der Rauhensteingasse aufgebahrt. Es strömten viele enge Freunde zu ihm, um sich zu verabschieden. In Zeitungen in ganz Europa wurde Mozarts Tod veröffentlicht und mit reichlich Empathie betrauert. Auch der weiter anhaltende Erfolg der gerade uraufgeführten Zauberflöte und zahlreiche Aufführungen, teilweise sogar als Benefizkonzert für die Witwe und Waisenkinder Mozarts, zeugen nicht davon, dass Mozart sofort in Vergessenheit geriet.
Obwohl sich über die Jahrhunderte hinweg wahrscheinlich ein ungenaueres Bild von Mozarts Tod ergeben hat, helfen ebendiese Ungenauigkeiten den „Mythos Mozart“ und vielleicht auch seine Musik in unserer Zeit lebendig zu halten, wenngleich eine Entmystifizierung des Todes dem Menschen Mozart zugute kommt.

  1. Zit. nach: Volkmar Braunbehrens: Mozart in Wien. München 1991. S. 426. []
  2. Vgl. Hans Veigl: Der Friedhof zu St. Marx. Eine letzte biedermeierliche Begräbnisstätte in Wien. Wien 2006, o. S. (Vorwort). []
  3. Vgl. Braunbehrens 1991. S. 441ff. []